Beispiellose Inklusion in Karlsfeld

Beispiellose Inklusion in KarlsfeldKA, Privat

V.l.: Mitarbeiter Thomas Heidenreich, Berufspraktikant Moritz Nickl und Kaufmann Daniel Schermelleh-Sandeck im Edeka Schermelleh in Karlsfeld.

(FB) Moritz Nickl aus Karlsfeld ist 15 Jahre jung und lebt mit einem seltenen Gendefekt von klein auf inklusiv. Das heißt, Moritz hat noch nie eine Behindertenschule besucht oder in einer Fördereinrichtung gelebt. Mittlerweile besucht er, zusammen mit seiner Schulbegleiterin Jolanta Parson, die Klasse 8b der Mittelschule Karlsfeld.

 

In der Woche vom 21. bis 25. Oktober 2024 stand ein weiterer Meilenstein für ihn an: Moritz absolvierte sein erstes, inklusives Berufspraktikum bei dem Edeka-Markt Schermelleh-Sandeck in der Neuen Mitte in Karlsfeld.

 

Während des Praktikums erhielt Moritz Einblicke in verschiedene Tätigkeiten des Einzelhandels: Er räumte Obst, Gemüse, Getränke, Brot und andere Waren ein. „Super, das ist eine tolle Arbeit. Ich habe schon viel eingeräumt und Gutscheine an der Kasse sortiert“, berichtet er über seine Tätigkeiten. Am meisten Spaß macht es ihm aber, die leeren Kartonagen in die Müllpresse zu stecken. „Wir haben einen neuen Kartonagenbeauftragten“, pflichtet ihm Marktleiter Daniel Schermelleh-Sandeck lachend bei.

 

Der Kaufmann Daniel Schermelleh-Sandeck erhielt für seinen herausragenden Beitrag zur Kultur eines Miteinanders von Menschen mit und ohne Behinderungen bereits 2014 den Inklusionspreis. Schermelleh-Sandeck beschäftigt seit Anfang 2014 in seinem Markt in Allershausen eine junge Frau mit geistiger Behinderung, unbefristet und sozialversicherungspflichtig. Im September des gleichen Jahres folgte dann die Einstellung von Thomas Heidenreich. Der junge Mann, der mit einer geistigen Behinderung lebt, sagte damals zu ihm: „Wenn das hier nicht funktioniert, muss ich in die Werkstatt (Anm. d. Red.: Arbeitsangebot des Franziskuswerks Schönbrunn für Menschen mit Behinderung) und das will ich nicht!“. Thomas Heidenreich hat es geschafft und seitdem unzählige Meilensteine erreicht: seit sieben Jahren wohnt er alleine in einer eigenen Wohnung, seit drei Jahren ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr Dachau tätig. Vor zwei Jahren konnte er erfolgreich die Prüfung zum Feuerwehrmann abgelegen.

 

Daniel Schermelleh-Sandeck hat sich dieses Jahr dafür entschieden, nur einen Schülerpraktikanten – Moritz – einzustellen, anstatt wie sonst üblich zwei oder drei Schüler bei sich aufzunehmen. „Menschen mit Behinderung heißen Zeit“, sagt er und diese nimmt er sich gerne. Der Unternehmer begleitet den Schüler während seiner Arbeitswoche, steht im geduldig zur Seite und begleitet ihn durch den Arbeitsalltag. Von acht Uhr morgens bis 14.30 Uhr arbeitet Moritz im Einzelhandel. Neben seiner Schulbegleiterin Jolanta und dem Marktleiter steht ihm auch Thomas Heidenreich zur Seite. Da er einen ähnlichen Hintergrund und Weg hinter sich hat, passt die Chemie zwischen den zwei jungen Männern sehr gut. Schermelleh-Sandeck sagt: „Einen Menschen mit Behinderung einzustellen stellt einen immer vor Herausforderungen. Das restliche Team muss mitmachen, da sein. Der Zusammenhalt unter den Kollegen ist sehr wichtig, es muss ausnahmslose Akzeptanz da sein. Das Wichtigste ist aber, den Menschen immer gerecht zu werden.“ 

 

Kennengelernt haben sich Moritz Nickl und Daniel Schermelleh-Sandeck bereits im vergangenem Schuljahr. Die Mittelschule Karlsfeld schickte ihre Schüler mit Interview-Aufträgen in Betriebe ihrer Wahl. Moritz entschied sich für den Edeka in der Neuen Mitte, um alles rund um den Einzelhandel und Verkauf zu erfahren. Moritz Mutter, Marianne Nickl, ist eine der drei Vorstandsvorsitzenden des Karlsfelder Vereins „Kunterbunte Inklusion e.V.“. Ein Verein, der sich unter anderem dafür einsetzt, Inklusion vorzuleben, Hilfsangebote schafft und wichtige Aufklärungsarbeit leistet. „Als Mama von Moritz bin ich sehr stolz und glücklich, wie er sich selbst um sein erstes Praktikum gekümmert hat. Am Ende des Interviews stand fest, wenn Moritz ein Praktikum machen wollte, stünde dem nichts im Wege. Unheimlich gelöst und stolz kam Moritz zu mir ans Auto zurück. Denn er hatte es geschafft. Er hat seinen ersten Praktikumsplatz ergattert.“, erzählt Frau Nickl. Und weiter: „Moritz kostet es große Überwindung, mit Fremden ein Gespräch zu führen. Und es ist für ihn sehr schwierig, sich auf neue und unbekannte Situationen einzulassen. Doch Moritz ist über sich hinausgewachsen und das nicht zuletzt, weil er von klein auf, im Kindergarten und in der Regelschule dabei war. Dadurch muss er jetzt nicht vor der Welt geschützt werden, sondern kann in seinem Rahmen ein recht selbständiges Leben führen. Moritz hat eine sehr schwere Grunderkrankung, kaum jemand hätte ihm die jetzige Entwicklung zugetraut. Doch genau dieses Zutrauen und die Erwartung an das Gute ist es, dass ihm Flügel verleiht. Das hat auch Herr Schermelleh-Sandeck im Gespür.“

 

Inklusion ist für Daniel Schermelleh-Sandeck selbstverständlich, für ihn, so sagt er, gehören Menschen mit Behinderung einfach zur Gesellschaft dazu. Er hat den Mut und das Engagement, einen Arbeitsmarkt für alle Menschen zu schaffen. Er möchte all seinen Mitarbeitern, egal ob mit oder ohne Beeinträchtigungen, die Chance geben, einem erfüllenden Beruf nachzugehen und ihnen finanzielle Eigenständigkeiten ermöglichen. Falls sich Moritz dazu entscheidet, eine Ausbildung in seinem Markt zu absolvieren, möchte der Kaufmann ihm das ermöglichen. „Es wird etwa drei bis fünf Jahre dauern, bis Moritz so mitarbeiten kann wie die anderen Mitarbeiter auch. Aber ich würde diesen Schritt jederzeit wieder wagen. Zudem gibt es verschiedene Möglichkeiten und Beratungsgespräche, die man mit dem Integrationsfachdienst führen kann, sie helfen sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitsnehmern“, erzählt Herr Schermelleh-Sandeck.

 

„Wir wünschen uns mehr Arbeitgeber, die sich zutrauen, Menschen mit Behinderung eine echte Chance zu geben. Wir wünschen uns aber auch Arbeitgeber wie Herrn Schermelleh-Sandeck, der selbst Ideen hat und Unterstützungsmaßnahmen begrüßt, die helfen, Menschen mit Behinderung eine sozialversicherungspflichtige Festanstellung zu ermöglichen. Mit Programmen wie das „Budget für Arbeit“ oder dem Integrationsfachdienst können die Arbeitsbedingungen nämlich speziell auf Menschen mit Behinderung angepasst werden. Der Arbeitgeber bekommt u.a. finanzielle Entlastung, denn er braucht anfangs weder den Menschen mit Beeinträchtigung noch die Arbeitsstunden, die er für die Betreuung abstellt, selbst zu bezahlen. Und er bekommt für seine Mühen zuverlässige Mitarbeiter, die Freude am Beruf haben“, ergänzt die Vorstandsvorsitzende Marianne Nickl.

 

Marianne Nickl berichtet uns weiter von ihren persönlichen Erfahrungen als Mutter eines behinderten Kindes und der Arbeitsrealität von beeinträchtigten Menschen:

 

„Eltern von Kindern mit Behinderungen wird oft Angst gemacht: „Was soll nur aus ihm werden“, „So einer, der gehört doch nicht hierher“, „Für solche Menschen haben wir doch extra Einrichtungen“ – solche Sätze bekommt man oft zu hören. Dabei fördert, und davon bin ich restlos überzeugt, das ganz normale Leben, mit seinen Herausforderungen und Möglichkeiten, letztlich am allerbesten! Denn Moritz braucht wie alle Menschen nur gute Rahmenbedingungen und das Gefühl gemocht zu werden, um ein erfülltes Leben zu führen.

 

Ähnlich wie im Kindesalter das Lernen und Aufwachsen im normalen Kindergarten und der normalen Schule die Regeln des Zusammenlebens lehrt und formt, bietet auch ein Berufspraktikum auf dem ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit geistiger Behinderung wichtige Chancen, die weit über die Möglichkeiten einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) hinausgehen. Durch ein Praktikum können in einem realen Arbeitsumfeld Erfahrungen gesammelt werden, man kann sich weiterentwickeln und die sozialen und beruflichen Fähigkeiten verbessern. Im Vergleich zur Beschäftigung in einer WfbM, wo der Fokus oft auf der Betreuung und Rehabilitation liegt, geht es auf dem ersten Arbeitsmarkt stärker um echte berufliche Teilhabe und auch um (finanzielle) Eigenständigkeit. 

 

Dabei ist für Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen in der Regel der Weg in die Behindertenwerkstatt (WfbM) vorgezeichnet und obwohl Werkstätten ebenfalls darauf abzielen sollen, die Leistungsfähigkeit zu steigern und Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten, gelingt dieser Übergang jedoch nur sehr selten. Nur unter ein Prozent dieser Menschen können nämlich tatsächlich weitervermittelt werden. Zudem verdienen Menschen in einer WfbM pro Monat durchschnittlich unter 300 Euro, da sie sich u.a. einen sehr frühen Renteneintritt erarbeiten.

 

 

Hier geht’s ab dem 01.12.2024 zum Adventskalender:

www.kunterbunte-inklusion.de                          

 

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Foto: KA, Privat